Kai Uwe Schierz, Angermuseum Erfurt
"Widerschein - Die Farbfeldmalerin Christiane Conrad begegnet Bildern aus der Gemäldegalerie des Angermuseums Erfurt"
Die Berliner Künstlerin Christiane Conrad, geboren 1949 in Gießen, studierte von 1984 bis 1990 an der Hochschule der Künste in Berlin bei Walter Stöhrer Malerei und beendete das Studium als Meisterschülerin. Seither beschäftigt sie sich mit der monochromen Malerei.
Sie geht von der konkreten Anschauung aus, abstrahiert aus dem Beobachteten jedoch bestimmte, signifikante Farbwerte, für die sie malerische Entsprechungen sucht. Zumeist findet sie jene Farben, die sie ansprechen, in der Natur, also, um einen Begriff der Freilichtmalerei zu gebrauchen, en plein air. Sie hält ihre Eindrücke in Ölpastellzeichnungen fest, die im Atelier als Anregungen dienen, um mit dem Material Ölfarbe durch Mischung von bis zu zehn verschiedenen Farbtönen einen speziellen Farbwert zu erzeugen. Die Suche nach immer neuen Farbnuancen geriet ihr dabei zur Passion.
Die von ihr individuell gemischte, zugleich zarte und satte Farbe wird in mehren Schichten auf die Leinwand aufgebracht. Mit sanftem Druck zieht sie die schmiegsame Ölfarbe mit dem Spachtel in der Senkrechten. Zwischen den Spachtelzügen aufgeworfene feine Farbgrate erzeugen ein flaches Relief, in dem sich das einfallende Licht fängt. Darüber hinaus haben die monochromen, quadratischen Flächen auf Leinwand keine kompositorische Struktur; ohne Schwerpunktsetzung bleiben farbige Fläche und Farbmaterie präsent. Die Bilder wirken wie die Erinnerungsspuren vorausgegangener visueller Erlebnisse; zugleich sind sie deren farblich komprimierter Ausdruck. Die cremige Konsistenz der Farbmasse verhindert Lichtreflexe auf der Oberfläche, so dass die zart nuancierten farbigen Zwischentöne im Auge des Betrachters voll zur Wirkung gelangen können. Dennoch verändert sich der Eindruck, den man angesichts dieser Farbfelder gewinnt, je nach dem aktuell einfallenden Licht, also abhängig von der Tageszeit oder dem Wechsel von natürlichem zu Kunstlicht.
Nicht nur aus der Natur bezieht Christiane Conrad ihre Anregungen, sondern auch aus der farbigen Fassung von Architektur und aus dominanten Farbakzenten in Gemälden. So nutzte sie im Jahr 2010 die Einladung zu einer Ausstellung im Mies van der Rohe Haus Berlin, idyllisch gelegen am Obersee im Berliner Ortsteil Alt-Hohenschönhausen, um das Wechselspiel von Natur und moderner Architektur zu thematisieren und eine Werkserie speziell für diesen Ort zu schaffen. Im Erfurter Angermuseum regten sie Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts wie Friedrich Nerlys „Tal von Cadore“ (um 1836), „Jungfraumassiv“ (1892) von Oswald Achenbach, Paul Baums „Niedergrunstedt“ (1888), Max Beckmanns „Chrysanthemen“ (1913), die „Gebirgslandschaft“ (1924) von Erich Heckel oder Werner Tübkes „Am Strand“ (1968) an, darin vorherrschende Farben aufzugreifen und mit den eigenen Mittel der monochromen Malerei zu reflektieren. Kombiniert mit den Bildern, die ihr als Ausgangspunkt dienten, wirken die Malereien von Christiane Conrad wie eine Antwort der Gegenwart auf die Tradition. Nicht wie die ultimative Antwort, sondern eine mögliche, zurückhaltend formulierte, fein nuancierte Antwort – wie ein Widerschein jener Ausstrahlung, welche die künstlerische Tradition bis heute besitzt. Obwohl man es den Bildern nicht auf den ersten Blick ansieht, steht Christiane Conrad mit ihrer Kunst in der Tradition der Pleinairmalerei, die im 19. Jahrhundert ihre Gipfelpunkte erreichte, denn malend geht auch sie stets vom konkreten Erleben aus.
Bereits Johann Wolfgang von Goethe ging in seiner Theorie der Farben von den Phänomenen der menschlichen Wahrnehmung aus; also von wahrnehmungspsychologischen Gesetzen. Bekannt ist sein Experiment, dass die Wahrnehmung einer Grundfarbe wie Rot bei geschlossenen Augen ihr komplementäres Gegenstück, im Falle von Rot ist es das Grün, erzeugt. Das Farben-Sehen beeinflusst also unsere Wahrnehmung anderer Farben. Die menschliche Wahrnehmung geschieht konditioniert und ist veränderlich. Im Falle der Korrespondenz der Bilder von Christiane Conrad mit den Bildern der Gemäldegalerie des Angermuseums verändert das Sehen der größeren und kleineren Farbfelder das nachfolgende Sehen der historischen Gemälde. Wir werden sensibilisiert für Farbverwandtschaften und farbliche Akzente. Auch intensivieren die pastos aufgetragenen Farben der Farbfeldmalerei von Christiane Conrad unsere Empfindungen für das Gemalte der Bilder eines Friedrich Nerly, Carl Hummel oder Caspar David Friedrich. Normalerweise assoziieren wir die gemalten Landschaften mit unseren eigenen Landschaftseindrücken und den entsprechenden Erfahrungen. Jetzt sehen wir genauer, dass der Himmel bei Hummel aus Farblasuren und halb deckenden Farbschichten aufgebaut ist, dass links die Mischung aus Gelb- und Blautönen ein Grün erzeugt und rechts oben ein helles Blau zum Vorschein kommt, dass die Sonne in dem kleinen Gemälde von Friedrich Nerly, in dem er Wasserbüffel in der römischen Campagna vor einer im Dunst untergehenden Sonne zeigt, aus einem cremigen Chamois-Weiß geformt wurde. Derartige Sensibilisierungen des Sehens sind in der Korrespondenz der Werke von Christiane Conrad mit den Gemälden der Galerie des Angermuseums intendiert.
Die temporäre Ausstellung in der Gemäldegalerie des Angermuseums möchte dazu anregen, einige der dort dauerhaft präsentierten Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts aus einem ungewohnten Blickwinkel und damit gleichsam neu und intensiv zu sehen. [lang_de] (zurück) [/lang_de][lang_en] (back)[/lang_en]