Michael Fehr
Zu den Gemälden von Christiane Conrad
Bei der Betrachtung der Gemälde von Christiane Conrad sieht man sich, gleich welchen Farbton sie ihren Werken gibt und in ihnen moduliert, immer mit Farbigkeit als einer unmittelbaren Erscheinung konfrontiert – und von ihr zugleich wie gefangen genommen. Christiane Conrads Gemälde faszinieren als Bilder der Farben, die sie konstituieren. Wie diese Faszination zustande kommt, möchte ich im Folgenden zu skizzieren versuchen.
In unserer Alltagserfahrung sind wir nahezu immer mit (mehr)farbigen Gegenständen konfrontiert und identifizieren sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Farbigkeit – auch in ihren bildlichen Darstellungen. Farbigkeit kann, so nehmen wir deshalb an, nicht ohne einen Gegenstand existieren. Andererseits wissen wir, dass natürliche Gegenstände wie Artefakte auch ohne Farbigkeit existieren oder eine andere Farbigkeit haben bzw. annehmen können und dennoch dieselben bleiben und sich – wie im Dunkeln – durch Berührung als solche identifizieren lassen. Unter lebenspraktischen Bedingungen erscheint uns Farbigkeit daher eine nur akzidentielle Eigenschaft der Dinge zu sein.
Ganz im Gegensatz dazu erfahren wir mit den Gemälden von Christiane Conrad Farbigkeit als eine eigene Qualität. Dies resultiert nicht allein aus dem Umstand, dass die Bilder ohne Bezug auf etwas Außerbildliches oder Gegenständliches auftreten, und rührt auch nicht nur daher, dass sie als von einem einzigen Farbton bestimmte Flächen erscheinen. Vielmehr kommt die eigene Qualität der Farbigkeit hier vor allem durch Malerei zur Anschauung. Sie resultiert aus dem besonderen Umgang mit dem Farbmaterial, einer Arbeit, die die Hervorbringung seiner Eigenschaft, seiner spezifischen Farbigkeit, zum Ziel hat.
In den Gemälden der Künstlerin ist Farbe als Materie, als bearbeiteter Stoff ausgesprochen präsent: Die Bilder erscheinen nicht als farbige Gegenstände, sondern wirken als ein Gegenüber, das mit Farbe bearbeitet wurde. Bei der Betrachtung der Gemälde sehen wir uns mit diesem Arbeitsprozess konfrontiert, ja glauben, die immer wieder ausgeübte, gestisch anmutende Bewegung, mit der die Christiane Conrad das farbige Material auf der Bildfläche appliziert, geradezu erspüren zu können. In diesem Wahrnehmungsakt rekonstruieren wir aber unwillkürlich, dass und wie durch den wiederholten Farbauftrag ein flacher Farbkörper entsteht, unter dem der Bildträger zu verschwinden scheint und der insbesondere da erfahrbar wird, wo das Farbmaterial über die Bildränder hinausragt.
Dass das Sehen bei der Betrachtung dieser Gemälde derart engagiert wird, hat aber mit ihrer offenen Binnenstruktur zu tun, die den Malprozess nachvollziehen lässt und das Farbmaterial in zwei sehr unterschiedlichen Modalitäten zur Anschauung bringt. So ist das Bildfeld einerseits von vertikalen Spachtelzügen geprägt, die in Relation zur Größe des Bildes und bestimmt von der Breite der Malwerkzeuge in unterschiedlicher Anzahl, doch gleichmäßig-rhythmisch angelegt sind und sich jeweils über das ganze Bildfeld erstrecken. Erscheint die Farbe hier als glatt ausgezogene Farbmasse, also im Modus einer kontrollierbaren Materie, so tritt sie andererseits, als Folge dieser malerischen Aktion, zugleich auch im Modus des Nicht-Kontrollierbaren auf; denn das Glattausziehen der Farbe lässt aus dem für diese Aktion überschüssigen Material an den Seiten der streifenförmigen Bahnen mehr oder weniger erhabene Grate aus dem Farbmaterial entstehen, die im Unterschied zu diesen eine unregelmäßige, vielfach unterbrochene, haptische Struktur im Bildfeld etablieren.
Auch wenn diese haptische Struktur der Gemälde als Folge der flach angelegten Spachtelzüge erklärt werden kann, so hat sie dennoch einen eigenständigen Charakter, den die Malerin in ihren verschiedenen Gemälden mehr oder weniger stark hervortreten lässt. In jedem Fall entsteht aber ein komplexes Gefüge aus den zwei sich zwar einander bedingenden, doch wie unabhängig miteinander agierenden bildlichen Strukturen, in dem die besondere Qualität der Farbe in unterschiedlicher Weise zur Anschauung kommt. So wirkt sie in den flachen Bildpartien häufig eher stumpf und trocken, verschluckt sozusagen das Licht, während die haptischen Bildelemente es eher reflektieren und glänzen können. Zudem bewirkt der zwischen dem Flachen und Erhabenen wechselnde Rhythmus der Gemälde eine differenzierte, je nach Betrachtungsposition und Lichteinfall unterschiedliche Erscheinung der Gemälde. Es kommt schließlich hinzu, dass aufgrund der bis zu zehn übereinander liegenden Farbschichten, die die Gemälde konstituieren, unterschiedliche Intensitäten innerhalb des jeweils gewählten Farbtons wahrnehmbar werden. Damit kommen weitere, das Bild differenzierende Elemente ins Spiel, die in der Zusammenschau mit seiner komplexen physischen Struktur seine Wahrnehmung vor eine immer wieder neue, nicht abschließbare Wahrnehmungsaufgabe stellen.
Als Ergebnis dieser malerischen Operationen lassen die Gemälde von Christiane Conrad ein Bild der jeweils gewählten Farbe entstehen. Mit dieser Formel soll zum Ausdruck kommen, dass die Gemälde das, was sie sind, zur Darstellung bringen, nämlich den eigentümlichen Doppelcharakter der Farbe als einerseits (physisches) Material, als paint, und andererseits als immaterielle Erscheinung dieses Materials, als Farbton, als color, die erst und nur in der Anschauung zur Wirkung kommt. Dieser zwiefältige Charakter, der das Besondere der Farbe ist und – abgesehen von Naturerscheinungen wie dem Blau des Himmels oder dem Spektral des Regenbogens – überall vorkommt, wo wir Farben wahrnehmen, kann allerdings erst da zum Thema und zum Bild werden, wo Farbe nicht als Zeug instrumentalisiert, sondern in eine Form gebracht wird, die sie, wie in diesen Gemälden, als eine autonome Substanz zu Geltung bringt. Welch ein unendlich weiter und nuancierter Farbraum auf diese Weise zum Leben und Erleben gebracht werden kann, dies demonstriert die Künstlerin in ihrem der Erforschung unterschiedlicher Farben und Farbtöne gewidmeten Werk in beeindruckender Weise.
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